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Tschad - im bizarren Ennedi

Nord-Afrika
19. 12. 2009 - 10. 1. 2010


Reisebericht Tschad Ennedi

Die Republik Tschad ist eines jener merkwürdigen Staatengebilde mitten in Afrika, dessen Grenzen die Kolonialmächte mit dem Lineal gezogen haben. Ohne Rücksicht auf Stammes- und Weidegebiete, Karawanenwege oder geografische Gegebenheiten zu nehmen, wurde so der Nährboden für Bürgerkriege und Aufstände gelegt. Bis in die jüngere Vergangenheit war dieses Land deshalb nur unter großen Gefahren zu bereisen. Doch die Region Ennedi im Norden des Landes hat immer schon Wüstenliebhaber und Saharaforscher magisch angezogen, liegen doch gerade dort viele Antworten auf offene Fragen zur Erd- und Klimageschichte sowie die ältesten Zeugnisse menschlicher Besiedelung verborgen.

Im letzten Winter ergab sich für mich die Gelegenheit, das Ennedi-Gebirge zu erkunden, zusammen mit einer kleinen siebenköpfigen internationalen Gruppe von Hauser exkursionen. Nach einer langen Flugreise mutet der Empfang am Flughafen der Hauptstadt N’Djamena schon sehr afrikanisch an. Nur kurze Kontrolle, keine Scanner, das einzige Förderband fürs Gepäck ist kaputt, dafür Selbstbedienung direkt vom Gepäckwagen, großes Gedränge. Endlich im Hotel. Es liegt direkt am Fluss Chari, am anderen Ufer ist Kamerun.

Am nächsten Morgen ist Aufbruch ins Ennedi, mit drei Geländewagen samt Fahrern – und, welch ein Luxus, einem eigenen Koch! Unsere Hotels außerhalb der Hauptstadt sind der Sternenhimmel oder das Zelt, je nach Lust und Moskitos. Nach zwei Tagen ostwärts erreichen wir Abeche, um von dort Richtung Norden weiterzufahren. Insgesamt vier Tage dauert es, bis wir die ersten Ausläufer des Ennedi-Gebirges erblicken. Zwischendurch gibt es nur kurze Stopps, um zu tanken, Wasser aufzufüllen oder die Lebensmittelvorräte zu ergänzen.

Das ist zwar anstrengend, aber auch sehr interessant, da wir den landschaftlichen Übergang von der Savanne bis zur Sahara erleben. Anfangs geht es vorbei an Bäumen, Büschen und Grasflächen. Ab und zu sind Reste von Regenwasser-Tümpeln und Einheimische mit ihren Tierherden zu sehen. Dann wird es immer trockener. Abwechslung bietet das rege Treiben an den Brunnen und die Begegnung mit der einheimischen Bevölkerung, was immer wieder ein schönes Erlebnis ist. Das Wasser wird mit Seil und Wassertaschen selbst hochgezogen, zum Teil mit Hilfe von Eseln, Kamelen und Rindern – auch wir machen uns mit dieser Technik vertraut.

Unseren Wasservorrat beziehen wir ebenso wie die Tschader von den öffent­lichen Wasserstellen, teilweise sind diese bis zu 100 Meter tief. Auch das Betanken unserer Autos ist sehr originell. Man pumpt den Treibstoff direkt aus libyschen Gallonen-Fässern, die am Pistenrand abgestellt sind. Die Pumpe ist allerdings selbst mitzubringen und mit der eigenen Autobatterie zu betreiben. Beim Fotografieren von Personen ist generell Vorsicht angesagt. Die fotoscheue Bevölkerung hat wenig Freude mit fotografierenden Touristen, auch sollen schon Kameras „beschlagnahmt“ worden sein.

In den Felsen des Ennedi-Gebirges finden wir auf Schritt und Tritt Spuren frühzeitlicher Siedlungen (Schaber, Pfeilspitzen, Keramik-Scherben) und Felszeichnungen. Ein wahres Paradies für Hobby-Archäologen – für echte natürlich auch, scheint doch vieles hier noch unerforscht zu sein. Das Interesse an der eigenen Geschichte müsste im Tschad erst geweckt werden, doch man hat hier offenbar andere Sorgen. Das ist nur allzu verständlich, denn das Leben ist hart in dieser Gegend. Die Felszeichnungen zeigen am häufigsten Rinder, aber auch Giraffen, Sträuße, Kamele, Jäger oder Reiter auf Pferden. Seit Jahrtausenden haben hier sowohl sesshafte Menschen als auch Nomaden Felsüberhänge mit Szenen aus ihrem Leben ausgeschmückt und so eine gewaltige Galerie zur Kultur- und Menschheitsgeschichte hinterlassen.

Nicht alle Gebiete des Ennedi sind frei zugänglich. Bei der Ba-Chiquélé-Schlucht müssen wir „Eintrittsgelder“ bezahlen, dafür bekommen wir eine Führung und Geleitschutz vom örtlichen Sheikh. Wir werden zu einem tiefen Regenwasserbecken am Ende eines Tals geführt, wo wir ganz scheue Pavian-Herden beobachten können. Auch Steinhügelgräber aus vorislamischer Zeit, die noch unerforscht sind, gibt es dort in der Nähe zu entdecken.

Der Schatz an extremen Erosionsformen im Ennedi scheint unerschöpflich. Alles ist von Sand und Wind geschliffen worden. Besonders spektakulär ist der Grand Alobe Arch (Arch = Felsbogen) mit einer lichten Höhe von ca. 120 m, einer der höchsten der Welt. Aber auch ganze Felslabyrinthe laden zum Verirren ein. Eine Nacht verbringen wir in einem Felsen-„Amphitheater“, in das wir durch einen „Elefanten“-Felsbogen gelangen. Am nächsten Morgen stellen wir fest, dass sich während der Nacht jemand in unserem Lager herumgeschlichen und auch etwas entwendet hat. Diebstahl sei als Sport durchaus „üblich“ im Tschad, erfahren wir später.

Wo immer wir uns aufhalten, tauchen Einheimische aus dem Nirgendwo auf, um uns Souvenirs zu verkaufen. Daran, aber nur daran erkennen wir, dass wir hier nicht die ersten und einzigen Touristen sind. Es wird uns einfacher Silberschmuck angeboten, angefertigt aus Maria-Theresien-Talern oder anderen Silbermünzen. Generell fällt mir auf, dass die einheimische Bevölkerung eher reserviert gegenüber Fremden ist. Nicht so, wie man es von Afrikanern allgemein erwarten würde.

Im Guelta Archeï (permanente Wasserstelle in einer Felsschlucht) erleben wir, wie riesige Kamel- und Ziegenherden zum Tränken geführt werden. Unvergesslich bleibt die Geräuschkulisse, die das Widerhallen der Tierlaute zwischen den Felsen abgibt. Oberhalb dieser Schlucht finden wir die etwa noch sechs letzten Sahara-Krokodile, eine über Jahrtausende isolierte Spezies. Aufgrund des sehr eingeschränkten Lebensraums können sie sich nicht mehr vermehren. Also wer sie noch lebend sehen will, sollte sich beeilen ...

Apropos Tiere: Wenn die Landschaft besonders einsam scheint, leisten uns zumindest heimische Tiere Gesellschaft. Kamele, die abends das Waschwasser neben meinem Nachtlager austrinken und immer wieder kommen, eine Horn-Viper (sehr giftig!), die mal kurz beim Abendessen vorbeischaut, Skorpione ... sehr gefragt sind da Übernachtungsplätze auf den Autodächern. Meist aber lockt der weiche Wüstensand. An scheinbar windstillen Plätzchen stelle ich fest, dass ich immer wieder von etwas Sand zugeweht werde. Aber zum Glück muss ich nie ausgeschaufelt werden.

Der Sonnenaufgang am nächsten Morgen, der die Sanddünen in ein wunderschönes, stimmungsvolles Licht taucht, entschädigt für die Aufregungen der Nacht. An diesem Tag erreichen wir die Garnisonsstadt Fada, von wo der derzeit amtierende Präsident des Tschad stammt und dieser einen Wohnsitz hat. Entsprechend gehoben ist hier die Infrastruktur verglichen mit anderen Orten dieser Region.

Wir verlassen Fada nun in Richtung Norden. Hier wird die Gegend immer einsamer und karger. Bevor wir die Sahara-Seen erreichen, müssen wir die Mourdi-Senke mit ihren Dünenfeldern durchqueren – ein wahres Abenteuer. Immer wieder bleiben wir im Sand stecken, steigen aus, schieben an, legen Sandbleche unter. Einer der Fahrer geht etwas voraus, um zu sehen, welcher Weg geeignet wäre, um voran zu kommen. Doch bei aller Vorsicht sinkt wieder eines unserer Autos ein, wir steigen aus, schieben an …

Unterwegs treffen wir auf eine Salzkarawane mit etwa zehn Kamelen. So etwas ist auch schon selten geworden, denn viele Händler sind längst auf Lastwagen umgestiegen. Die Karawane ist von ganz früh morgens bis zur Dunkelheit unterwegs, ohne Pause. Tee wird im Gehen getrunken, wer sein Gebet verrichten möchte, bleibt zurück und läuft dann hinterher.

Den Lohn für all die Mühen unserer Wüstendurchquerung beschert uns die Oase Ounianga. Mit ihren von fossilem Grundwasser gespeisten Salz-, aber auch Süßwasserseen bietet sie eine geologische Sensation, die noch lange nicht vollständig erforscht ist. Die Tatsache, dass manche Seen von schwimmenden Schilfwäldern großflächig bedeckt sind, verhindert die starke Verdunstung des Wassers und somit die Versalzung. Einer der Süßwasser-Seen lädt uns zum Baden ein. Ein unbeschreibliches Vergnügen auf einer Reise, wo mit Wasser äußerst sorgsam umgegangen werden muss! Hier ist der nördlichste Punkt unserer Reise, danach geht es wieder in südliche Richtung zur Hauptstadt.

Auf dem Rückweg begegnen wir Spuren aus jüngerer Vergangenheit: Panzergerippe, Reste von Waffen und Munition – Hinterlassenschaften vom Libyen-Tschad-Krieg. Dann geht es zum Einkaufen auf einen Markt. Zwei Teilnehmer aus meiner Reisegruppe sind aus Wien und wir geben einen Österreicher-Abend. Es gibt Erdäpfelgröstl und Kaiserschmarrn. Kartoffeln und Eier sind hier um einiges teurer als in Europa. Und das Kochen selbst wird eine Herausforderung – auf Holzkohlenfeuer. Den Eischnee für den Kaiserschmarrn schlagen wir per Hand mit einer Gabel. Es wird ein schmackhafter und gelungener Abend.

Ein Naturschauspiel der unerfreulichen Art bietet sich uns wenig später, ein riesiger, kilometerweiter Heuschreckenschwarm (Start im Oktober 2009 im Atlas, Marokko). Die Tiere sind meist sechs bis sieben Zentimeter groß. Unvorstellbar ist das Ausmaß der Verwüstung, das sie hinterlassen. Überall sieht man abgefressene Bäume und Sträucher. Kamele steigen ratlos umher, sie finden nichts mehr zu fressen. Während der Weiterfahrt stellt sich bei uns nachdenkliches Schweigen ein.

Schließlich sind wir wieder in der Hauptstadt angelangt. Im Hotel haben wir Gelegenheit, den Sand und Staub der letzten Wochen abzuwaschen. Am Abend vor dem Abflug gibt es noch ein „zivilisiertes“ Abschiedsessen, bei dem wir unsere unvergesslichen Eindrücke austauschen. Diese Reise bleibt aber nicht nur unvergesslich, sie weckt Lust auf mehr. Im Nordwesten wäre da noch das nahezu unbekannte Tibesti-Gebirge … Und was kann es Spannenderes geben, als auf den ältesten Spuren der Menschheits­geschichte unterwegs zu sein?



Reisebericht Tschad Ennedi



















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