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Unbekanntes Somaliland
Ost-Afrika
20. – 30. April 2012
Schon von Somaliland gehört?
Somalia? Nein, Somaliland – das ist jener seit 1991 de facto unabhängige Staat im
Norden
Somalias und entspricht etwa der Größe des einstigen Britisch-Somaliland.
International zwar nicht anerkannt, aber friedlich und, wie gesagt, unabhängig. Die
Hauptstadt Hargeisa gilt als eine der sichersten Afrikas. In ihrer unmittelbaren Nähe
findet man einige der besterhaltenen urzeitlichen Höhlenmalereien Afrikas, in Laas Geel.
Die Küsten Somalilands verheißen ein Stück Paradies auf Erden, die Wüsten vermitteln
eine vage Vorstellung von Unendlichkeit, die Städte erzählen von einer großen Vergangenheit.
Und wir staunen über die landschaftliche Vielfalt dieser noch jungen Republik.
Trotz Armut, hoher Arbeitslosigkeit und Flüchtlingselend ist dieses Land eine Erfolgsgeschichte
auf dem afrikanischen Kontinent, konnte es sich doch aus dem Würgegriff
des niemals enden wollenden Bürgerkriegs im Süden befreien und konsequent eigene
Wege gehen. Zahlreiche Exil-Somalier kehren nach Somaliland zurück und wagen
einen Neuanfang. Denn dieses Land hat Potential und Zukunft, hier könnte und sollte
man investieren, hier lässt es sich leben.
Und auch wir als Österreicher erbringen hier eine kleine Pionierleistung – wir bereisen
dieses
Land als Touristen. Es gibt hier äußerst selten Touristen, und noch seltener kommen
sie aus Europa. Ausländer gibt es hier allerdings genug, denn zahlreiche internationale
Organisationen haben hier eine Niederlassung. Diesem Umstand verdanken wir auch
unseren inzwischen zweiten Aufenthalt in Somaliland, dem dieser Bericht gewidmet ist.
Unser erster Kurzbesuch in diesem Land galt ausschließlich seiner größten kulturellen
Sensation, den Felsmalereien von Laas Geel. Die Landschaft rundum war atemberaubend
schön und weckte Sehnsucht nach mehr, den Wunsch, noch einmal hierher zu kommen
und mehr Zeit zu haben. Während der Grenzformalitäten bei der Einreise hatten wir den
Chef von IOM Hargeisa (Internaitonal Organisation for Migration) kennen gelernt, ganz
zufällig. Wir kamen ins Gespräch, wir verabredeten uns in Hargeisa, wir blieben in Kontakt
– und kamen gleich ein paar Wochen später wieder, diesmal mit mehr Zeit im Gepäck.
Unsere Ankunft im Maansoor-Hotel spricht sich schnell herum in Hargeisa. Zwei Weiße
auf Privatbesuch, das ist eine Sensation! Unser Gastgeber erhält Anrufe von Politikern,
die sich dafür bedanken, dass er zwei Westler nach Somaliland eingeladen hat und der
Außenminister entsendet extra einen Mitarbeiter ins Hotel, um uns zu begrüßen.
Mit einer jungen somalischen Service-Agentur – zwei Männer und eine Frau – stellen wir
unser Reise-Programm zusammen, sie sind sehr charmant und interessiert, was denn
diese zwei Westler in ihrem Land sehen wollen und staunen nicht schlecht, wie gut wir
vorbereitet sind, ausgestattet mit wenigen Informationen aus dem Internet, aber immerhin,
an Ideen mangelt es nicht. Wir werden nicht alles realisieren können, denn es ist
Regenzeit, einige Wege sind nicht sicher passierbar, die Straßen teilweise schlecht und
da ist schon wieder das Problem mit der Zeit, die Entfernungen sind zu weit.
Die zwei jungen Männer von der Service-Agentur werden uns persönlich auf unserer
Reise begleiten, es bereitet ihnen sichtlich Vergnügen, ihr Land an der Seite von
echten
Touristen zu erleben, haben sie doch so manches Ziel in unserem Ausflugsprogramm
selbst noch nie gesehen. Wir werden aber auch von einem Polizisten begleitet,
das ist so vorgeschrieben. Nicht etwa, weil es hier so gefährlich wäre, was könnte
ein einzelner Polizist schon ausrichten? Nein, er hält uns andere Polizisten vom Leib,
die uns belästigen oder sich als Wegelagerer etwas dazu verdienen könnten, was sich
so manches Mal als sehr nützlich erwiesen hat. Und ja, doch, ein bisschen Sicherheit
soll er uns natürlich auch garantieren.
Auf dem Weg zur Hafenstadt Berbera machen wir nochmals einen Stopp in Laas Geel
und stellen fest: Es gibt Momente im Leben, die auch in der Wiederholung nichts von
ihrem Zauber verlieren. Die Felsmalereien zeigen Tier- und Menschenabbildungen in kräftigen
Farben und bester Qualität. Sie wurden 2002 von französischen Forschern eher zufällig
nach Hinweisen aus der heimischen Bevölkerung entdeckt. Ihre Entstehung wird auf
3000 – 4000 v. Chr. geschätzt. Ein lokaler Führer gibt uns detaillierte Erklärungen zu den
Bildern. Die noch junge Republik Somaliland bemüht sich bei der UNESCO um die Verleihung
des Titels „Weltkulturerbe“ für diese einzigartige historische Stätte – zu Recht!
Auf der Straße in Richtung Küste umkreisen uns dunkle Regenwolken, ein Regenbogen
am Horizont verleiht der Landschaft eine stimmungsvolle Farbenpracht. Und es
wird spürbar wärmer, als wir ankommen ist es drückend heiß und bereits dunkel. Wie
unser Fahrer das Hotel gefunden hat, ist uns ein Rätsel, es liegt irgendwo außerhalb
der Hafenstadt Berbera, keine richtige Straße, kein Hinweisschild. Sein ausgezeichneter
Orientierungssinn erweist sich des Öfteren als Segen für uns, darüber hinaus weiß er viel
über sein Land zu erzählen und – er will auch über uns und unsere Sitten etwas wissen.
Unser erster Ausflug von Berbera führt uns in ein wunderschön grün bewachsenes Tal,
durch das sich ein kleines Flüsschen schlängelt, gespeist von heißen Quellen, die aus
den Felsen am Talrand entspringen. Das Wasser soll heilende Wirkung haben, weshalb
dieser Ort von Einheimischen gerne besucht wird. Auf Grund der Regenfälle fällt das
Flüsschen aber deutlich ergiebiger aus als sonst und ist zur braunen Brühe geworden.
Die einzigartige Vegetation bietet vielen farbenprächtigen Vögeln ein idyllisches Zuhause.
Unser Fahrer findet sichtlich Spaß daran, mit voller Geschwindigkeit durch den
Fluss zu fahren und meterhohe Fontänen zu werfen. Dieser Übermut wird ihm aber bald
zum Verhängnis, wir bleiben im Schlamm stecken und können nicht mehr weiter. Jetzt
beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, denn das Wasser steigt merkbar an und unsere Begleiter
haben alle Hände voll zu tun, den Wagen soweit zu stabilisieren, dass das Wasser
nicht in das Wageninnere eindringen kann, bis nach Stunden endlich Hilfe kommt. Auch
Bewohner aus der Umgebung kommen mit ihren Schaufeln und versuchen ihr Bestes,
um uns aus dieser misslichen Lage zu befreien. Der Fluss ist unerträglich warm und von
oben brennt die Mittagssonne erbarmungslos auf uns nieder.
Doch wir finden während dessen Erleichterung. Gleich in der Nähe ist eine kleine Quelle,
die aus dem Boden entspringt und „nur“ lauwarm, also fast erfrischend ist. Wir setzen
uns hinein, mit all unseren Kleidern, wie man das hier eben so tut. Doch da kommt eine
Kamelherde und will auch ihren Anteil an diesem köstlichen Nass. Genüsslich schlürfen
die Tiere das Wasser neben uns Badenden und auch für die Einheimischen ist das ein
außergewöhnliches Ereignis: Zwei Weiße sitzen in ihrer Quelle.
In der Abenddämmerung machen wir noch eine kleine Rundfahrt in der Küstenstadt
Berbera, die auch schon bessere Zeiten gesehen hat. Am Hafen rosten alte Schiffe
vor sich hin, trotzdem oder gerade deshalb ist der Anblick im Licht der Abenddämmerung
sehr stimmungsvoll, allerdings ist die Luft zum Erbrechen, es stinkt nach verdorbenem
Fisch. Historische Gebäude von wunderschöner Architektur sind dem Verfall
preisgegeben, niemand hat das Geld oder gar das Interesse, etwas zu erhalten, die
Leute haben hier wahrlich andere Sorgen, diese Region Somalilands ist noch ärmer,
als das Land ohnehin schon ist.
Entlang der Küste wagen wir uns dann westwärts nach Bulloxaar (Bulhar, Bulahaar).
Dorthin gibt es nur noch Pisten, und auf Grund der Regenfälle auch Schlamm.
Bulloxaar, das muss einmal etwas ganz Großes gewesen sein, auf alten Karten ist sie
eine der wenigen Städte, die überhaupt eingezeichnet sind. Doch heute treffen wir nur
auf ein paar armselige Hütten. Und auf einen weißen Sandstrand, der einer Kitschpostkarte
aus der Südsee gleicht. Die Wellen sind herrlich anzusehen und zu spüren, das
Wasser tiefblau und so warm, dass wir gar nicht mehr weg wollen. Doch da gibt es noch
etwas zu entdecken. In der Nähe finden wir weit verstreut ein paar von Büschen zugewucherte
Ruinen, die sofort erahnen lassen, dass dies das alte, einstmals große Bulloxaar
gewesen sein muss. Was noch übrig ist, lässt auf osmanische Bauweise schließen. Die
Stadt wurde durch eine Flutwelle zerstört. Wann? Das weiß hier niemand so genau.
Auf dem Rückweg von Berbera nach Hargeisa wollen wir uns noch weitere Felszeichnungen
ansehen, die man ohne Hilfe der örtlichen Bevölkerung nicht finden kann. Auf
unserer kleinen Irrfahrt finden sich zahlreiche Gräber – auch christliche, aus früherer Zeit!
Und mancherorts frisches Grün. Es handelt sich um Papayaplantagen, sogar Orangen
und Tomaten werden hier angepflanzt. Eine Plantage sehen wir uns genauer an und
wir werden von einer sehr freundlichen, älteren Dame, die dieses Stück Land ihr Eigen
nennt, herumgeführt. Dann endlich gelangen wir zu der Höhle, die wir sehen wollten
(Dezember-Bild). Es handelt sich um eine Felskuppel, deren Eingang wir nur kriechend
passieren können. Innen ist es herrlich kühl und mehrere seitliche Öffnungen ermöglichen
einen angenehmen Durchzug. Ein paar Fledermäuse bereiten uns einen gruseligen Empfang.
Die Höhle ist von ihrer natürlichen Beschaffenheit einzigartig, die Felszeichnungen
und Ritzungen farblos und schlecht erhalten, dennoch aber faszinierend, weil uralt.
Als wir wieder ins Freie gelangen, bietet die Landschaft rundum ein unheimliches
Bild. Paviane klettern ganz hektisch und kreischend zwischen den Felsen herum.
Schwarze Wolken ziehen auf, Donner sind zu hören und Sturm fegt über das Land.
Ein Gewitter ist im Anmarsch. Trotz des Regens können wir die Hauptstraße nach
Hargeisa ohne Probleme erreichen, doch es warten gerade dort noch ein paar Hürden
auf uns. Mehrere reißende Flüsse unterbrechen unseren Weg in die Hauptstadt und
da heißt es erst einmal warten. Darauf, dass der Wasserspiegel wieder sinkt und die
Fließgeschwindigkeit nachlässt. Ein paar Mutige riskieren die Durchfahrt. Als erstes
die Lastwagen, dann auch ein paar größere Geländewagen. Nach und nach trauen
sich dann auch andere, aber nicht alle haben Glück und kommen unversehrt auf der
anderen Seite an. Ein Lastwagen kommt in der reißenden braunen Brühe von der
Straße ab, gerät in Schieflage und bleibt stecken. Auch einer der Geländewagen hat
nach dieser abenteuerlichen Flussdurchquerung einen Motorschaden. Wir gehören zu
den Glücklichen, die es geschafft haben.
Am nächsten Tag ist Freitag, Feiertag also, und wir machen einen kleinen Ausflug in
die nähere Umgebung von Hargeisa, nach Gebiley – wieder Felszeichnungen. Die sind
denen von Laas Geel sehr ähnlich, aber nicht so gut erhalten. Umso beeindruckender
sind aber die Felsformationen und die Vegetation. Das eigentlich Besondere aber ist die
illustre
Gesellschaft, in der wir uns befinden: Unsere beiden jungen Begleiter Said und
Abdulrahman,
die uns schon in den vergangen Tagen geführt hatten, unser Freund und
Gastgeber Hisham, sein Mitarbeiter Said und der Chef der Hotel-Security. Die drei letzteren
machen hier erstmals einen „Sonntagsausflug“ nach europäischer Manier, ohne
sich abmelden und Geleitschutz anfordern zu müssen. Denn das müssten sie, hätten
sie nicht diese einmalige Gelegenheit, ganz formlos bei uns mitzufahren. Verständlich
daher, in welch ausgelassener Stimmung unsere Freunde sind. Langsam aber bekommen
wir eine leise Ahnung davon, was es heißt, in diesem Land zu arbeiten und zu
leben. Und dass unsere gewohnte europäische Freiheit nicht selbstverständlich ist.
An unserem letzten Tag führt uns ein äthiopischer Freund, der in Somaliland lebt,
durch Hargeisa. Was es da zu sehen gibt? Eigentlich nichts, das ist ja so amüsant
daran. Wir besuchen z.B. ein Möbelhaus und sind gespannt, wie man sich denn hier
so einrichtet. Alles hier erinnert an Schloss Neuschwanstein! Nein, das ist kein Witz,
besser könnte man diese Möbel nicht beschreiben. Sogar unser äthiopischer Freund
ist hier noch nie gewesen und staunt. Dann der übliche Gang durch den Markt. Wir
wundern uns über ein paar Marktstände. Auf dem Boden sind päckchenweise Geldscheine
aufgestapelt (Somaliland-Schillinge) und warten auf Kunden, die diese eintauschen
wollen. Mitten auf der Straße, aber absolut seriös, wird uns gesagt. Zum
Mittagessen gehen wir in ein Kamelfleisch-Restaurant. Es schmeckt köstlich, aber
zu viel sollte man auch nicht davon essen, sonst wird einem schlecht, nicht erst beim
Bezahlen der Rechnung. Für dortige Verhältnisse ist so ein Essen reiner Luxus.
Am frühen Abend führt uns unser Gastgeber noch in eine Werbeagentur, wir dürfen
ungeniert Fragen stellen und uns deren Arbeiten ansehen. Danach setzen wir uns in
ein jemenitisches Café, unser erster und einziger Kaffee in diesem Land, der hat sich
aber gelohnt. Danach wird mit unserer Reise-Agentur abgerechnet, sie zeigen sich
sehr kulant, da wir ja nur gewöhnliche Touristen sind und keine UN-Leute. Denn für
die gelten ganz andere Preis-Standards, unglaublich hohe nämlich. Von der Vorstellung,
dass man sich als Westler hier ohnehin alles ganz leicht leisten könne, mussten
wir uns schon am ersten Tag verabschieden.
Am nächsten Morgen treten wir dann unsere Heimreise an. Zurück in Europa scheint
es uns, als wären wir aus einem Traum erwacht. Was ist geblieben von Somaliland?
Viele neue Freunde und der Wunsch, sie wiederzusehen. Großartige Eindrücke und die
Sehnsucht, noch weiter in dieses faszinierende Land vorzudringen. Erinnerungen, die
sogar ein bisschen schmerzen. Und die Hoffnung, irgendetwas für die internationale
Anerkennung Somalilands tun zu können, indem wir wenigstens darüber berichten.
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